"Eine wissenschaftliche Studie ist aufgrund ihres Charakters eher partiell und eine Frage des Bewussten Wissens. Die Leser und Studenten müssen daher die Theorie in die Praxis umsetzen und sie über den Zustand des Bewusstseins hinaus verdauen und assimilieren, bevor sie die Aussagen schätzen oder den vollen praktischen Nutzen daraus ziehen können."
Koizumi Gunji, im Vorwort zu 'Higher Judo' von Moshé Feldenkrais
Schon fast ein Monat ist seit meinem “Tag der offenen Tür ” vergangen.
In den Gesprächen ist eine spannende und durchaus immer wiederkehrende Frage aufgetaucht: Die Frage nach der Rolle der Bewusstheit. Dass doch die Veränderung von Bewegung davon abhängt uns etwas bewusst zu machen. Da die Feldenkrais Gruppenlektionen auf Deutsch offiziell “Bewusstheit durch Bewegung” benannt werden, eine sehr berechtigte Frage.
Auf Hebräisch hat Moshé Feldenkrais seine Lektionen anders benannt. Die wörtlichere Übersetzung wäre: Verbessern und Verfeinern seiner Fähigkeiten.
Es kann durchaus ein erster Schritt sein, dass man sich etwas bewusst wird und dann beginnt nach anderen Lösungen zu suchen.
Doch auf der neurologischen Ebene der Bewegungsorganisation spielt Bewusstheit keine Rolle. Das Gehirn verarbeitet alle eingehenden sensorischen Informationen von Rezeptoren wie Muskelspindeln, Golgi-Sehnen-Organe, Gelenksrezeptoren und Hautrezeptoren und auch von Augen, Ohren, Nase ohne unser bewusstes zutun. Es filtert diese riesen Mengen an Informationen und lässt uns nur das bewusst werden, was im Moment relevant für uns sein könnte. Diese Relevanz ist geprägt von Erfahrungen und Gewohnheiten. Was immer gleich ist, soll uns nicht unnötig beschäftigen. Wenn es jedoch plötzlich verbrannt riecht, wird uns das bewusst und wir suchen nach der Quelle dieses Geruchs, um bei Bedarf zu handeln.
Genauso ist es mit Bewegung: die immer gleiche Armbewegung beim Gehen registrieren wir nicht, doch wenn plötzlich etwas anders ist – z.B. nach einer Feldenkrais Lektion – registrieren wir das. Auch wenn wir unter Umständen nicht bewusst wissen, was anders ist bzw. nicht bewusst wissen, inwiefern sich die Bewegung von derjenigen vor der Lektion unterscheidet.
Was jedoch eine entscheidende Rolle spielt: wohin wir während dem Lernprozess (der Feldenkrais Lektion) unsere Aufmerksamkeit richten. Die Aufmerksamkeit braucht es, damit der oben erwähnte Filterungsprozess des Gehirns nicht wie üblich filtert. Sondern die Orte, wohin wir die Aufmerksamkeit lenken, in die Verarbeitung miteinbezogen und nicht gewohnheitsmässig übergangen werden. Dadurch können wir am Ende zu anderen Erfahrungen kommen, wie zum Beispiel ‚der Arm bewegt anders‘.
Der Prozess des Lernens braucht also Aufmerksamkeit. Doch danach im Alltag, muss es einfach funktionieren. Wenn sich mein Arm beim Gehen nur dann so bewegt dass ich keine Schmerzen habe, wenn ich ihn ganz bewusst auf eine bestimmte Art und Weise bewege, ist das noch nicht die Lösung meiner Schmerzen. Denn der Arm soll sich immer so mitbewegen, dass ich keine Schmerzen habe. Egal ob ich Zähne putze, einen Ball fange, Velo fahre, koche oder was auch immer…
Im Kontext von Judo – d.h. im Falle eines Angriffs – wird sehr klar, dass keine Zeit bleibt für bewusstes Überlegen und Handeln. Wir wären – im besten Falle – schon längst niedergerempelt bis wir uns bewusst eine Strategie hätten zurechtlegen können…
Das gleiche gilt im Alltag. Unmöglich ein reichhaltiges Menu zu kochen und sich für jeden einzelnen Handgriff bewusst zu entscheiden, ihn bewusst auszuführen. Na ja, vielleicht geht es ja schon, doch beginnt auf jeden Fall sehr viel früher zu kochen als sonst!
Nachfolgend eine Feldenkrais Lektion, die allenfalls dazu führt, dass danach die Arme beim Gehen anders bewegen als ihr es gewohnt seid…
Es handelt sich um eine Live-Aufnahme meiner wöchentlichen Gruppenlektion.