Übers Lernen :: Kinder versus Erwachsene

„Um so schwierige Dinge lernen zu können wie die Links-Rechts-Orientierung, bedarf es des kindlichen Geisteszustandes: der Fähigkeit, aufmerksam zu sein ohne die Absicht zu lernen. Und es braucht auch noch anderes: Unterschiede spüren zu können, und das heisst; zwischen einander ähnlichen Empfindungen unterscheiden zu können. Das Kind übt nicht in dem Sinn, in dem das ein Erwachsener tut der eine Handlung widerholt, um sie sich einzuprägen oder um sie zu verbessern. Die Aufmerksamkeit des Kindes wird gesteuert von seiner Neugier, die allen Lebewesen angeboren ist. Kleine Kinder wiederholen vielmehr um des Vergnügens willen, das eine Handlung ihnen bereitet, und um ihrer Neuheit willen, tun also um des Tuns willen und nicht, um es zu verbessern oder gar sonst auf ein Ziel hin: - Aufmerksamkeit ohne Absicht.“

Heute teile ich mit euch das obige lange Zitat aus dem Buch „Abenteuer im Dschungel des Gehirns“ von Moshé Feldenkrais. Er beschreibt darin seine Arbeit mit Doris, daher der Untertitel „Der Fall Doris“. Doris, Anfang sechzig, war nach einem Blutgerinnsel mit Schädigung der linken Gehirnhälfte rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. Konventionelle Therapien brachten keine Besserung. Mehr als ein Jahr nach dem Blutgerinnsel begann sie mit Moshé Feldenkrais zu arbeiten.

Doris musste vieles neu lernen. Um zu lernen, konnte sie nicht wie ein Erwachsener Handlungen wiederholen und abspeichern. Sie brauchte dieses primäre organische Lernen diese Aufmerksamkeit ohne Absicht – so wie ein Kind es tut, wenn es ganz alleine rollen, krabbeln und laufen lernt. Nach variantenreichem Ausprobieren rollt es plötzlich, hat sich vorwärtsgeschoben oder den ersten Schritt gemacht.

Dürfen Kinder immer so lernen, wie es ihnen entspricht? Oder glauben wir, dass sie schneller lernen, wenn wir ihnen zeigen, wie es richtig geht?
Dürfen Kinder mit Behinderungen so lernen? Um Schritt für Schritt Ordnung ins Chaos, Ordnung ins Gehirn zu bringen?

Der W-Sitz (siehe Foto) ist oft bei Kindern mit wenig Körperspannung zu sehen. Die grosse Grundfläche verleiht Stabilität, die Bewegungsmöglichkeiten der Wirbelsäule sind eingeschränkt.

Ja, das bin ich auf dem Foto. Meine Eltern sagen, dass ich sei auf unebenen Böden sehr unsicher gegangen. In der Primarschule attestierte mir der Schularzt eine schlechte grobmotorische Koordination.

Meine Eltern brachten mich deshalb zum Rhythmik-Unterricht. Dort wuchs meine Freude an Bewegung zu Musik und ich wollte danach mit Ballett beginnen. Die Feldenkrais Methode kannten meine Eltern leider nicht. Sie lernten sie erst fast 20 Jahre später durch mich kennen.

Wenn also heute jemand sagt: “Man sieht, dass du Tänzerin bist, so geschmeidig wie du dich bewegst”, dann erinnere ich gerne daran, dass dies erlernt ist! Ich wurde definitiv nicht als Bewegungstalent geboren!

Nicht nur als Kind und Jugendliche waren Bewegungskurse dazu da meine Koordination zu verbessern. Ich nutzte jedes Training (Tanz, Aikido, Feldenkrais) zur grundlegenden Verbesserung meiner Bewegungsqualität und -kontrolle und nicht nur zur Aneinanderreihung neuer Formen.

Deshalb liegt mir die Arbeit mit Kindern und diese grundlegende Verbesserung der Koordination in jedem Alter besonders am Herzen. In meinen Bewegungskursen wird deshalb auf dem Boden gerollt, gekrabbelt, auf den Knien gedreht, mit vier Punkten auf dem Boden (Hände & Füsse) verschiedene Bewegungsmöglichkeiten erforscht – das erleichtert alle späteren komplexeren Bewegungen.

Und kein Wunder: Je besser ich mich auf dem Boden bewegen konnte, desto leichter fiel mir das Ballett!

Nochmals zurück zu Doris: Die Arbeit mit Moshé Feldenkrais führte schliesslich dazu, dass sie alleine von der Schweiz nach Tel Aviv reisen konnte, um mit ihm zu arbeiten.